Stichworte zu Systemen der Harmonielehre/Musiktheorie

Guido von Arezzo (ca. 922-1050)
- Diaphonie und Organum (frühe Formen der Mehrstimmigkeit)
- Hexachordlehre (Sechstonskala)

Henricus Glareanus (1488-1563)
- Baut sein System auf der Oktave auf (und nicht mehr auf Hexachorden)
- Bevorzugt die einstimmige Melodie gegenüber der mehrstimmigen Komposition

Gioseffo Zarlino (1517-1590)
- Naturgegebene akustische Verhältnisse von Tönen (im Sinne von Pythagoras) werden als grundlegend angesehen
- Hinweise über die akkordliche Bedeutung des Dur- und Mollgeschlechts

Jean Philippe Rameau (1683-1764)
- Leitete den Durdreiklang aus der Obertonreihe ab und postulierte eine analoge Untertonreihe für den Molldreiklang
- führte Akkorde auf eine Reihe von Grundformen zurück: Tonique (centre), Dominante, Sousdominante als Dreiklänge der I., IV. und V. Stufe der Tonleiter (Theorie der Fundamenttöne)
- Lehre von den Umkehrungen, wonach der Sextakkord dieselbe funktionelle Bedeutung wie der Grundakkord hat
- der Begriff „sixte ajoutée“ stammt ebenfalls von Rameau

Gottfried Weber (1779-1839)
- benutzte große (deutsche) Buchstaben für Durakkorde und kleine Buchstaben für Mollakkorde
- geht von der Stellung der Akkorde in der Tonleiter aus und bezeichnet sie mit (großen und kleinen) römischen Stufenzahlen (Stufentheorie)

Joseph Fetis (1784-1871)
- Tonalitätsauffassungen und -systeme verändern sich mit der Zeit und sind gesellschaftlich determiniert
- Lehre von der harmonischen Modulation als Tonalitätsveränderung

Simon Sechter (1788-1867)
- nicht der Dreiklang, sondern das Intervall wird als naturgegebene Einheit angesehen
- für den Aufbau der Akkorde ist die Terz das bedeutende Intervall
- Dur und Moll entspringen einer Wurzel, nämlich der Überlagerung zweier Terzen.
- Monismus (Ggs.: Dualismus)

Hugo Riemann (1849-1919)
- Dreiklang wird als naturgegeben angesehen
- Durdreiklang aus Obertonreihe, Molldreiklang aus „Untertonreihe“ (vgl. Rameau)
- Dur- und Molldreiklänge entspringen verschiedenen Wurzeln, sind gegensätzliche Klanggeschlechter
- Dualismus (Ggs.: Monismus)
- Funktionsbezeichnungen mit den Zeichen T, S und D (vgl. Rameau)

Wilhelm Maler (1902-1976)
- Funktionsschrift mit großen Buchstaben (für Durakkorde) und kleinen Buchstaben (für Mollakkorde). Durch diese verfeinerte Funktionsbezeichnung können auch entfernt verwandte Akkorde funktionell dargestellt werden (z. B. Medianten entfernter Regionen).

Stichworte zur Entwicklung der Harmonik der letzten dreihundert Jahre

Merkmale der Harmonik der Barockmusik
- akkordliche Quintverwandtschaft ist vorherrschend
- klares Kadenzprinzip und strikte Tonalität
 - Verwendung von Dreiklängen, auch mit Zusatzdissonanzen und einfachen Alterierungen

 
Merkmale der Harmonik der Romantik
- erweiterte Terzverwandtschaft (Mediantik) und reiche Chromatik
- alterierte Akkorde
- chromatische Vorhalts- und Durchgangsharmonik
- Übergewicht der melodischen linearen über die akkordliche Bewegung
- Klänge mit Sekundzusatztönen (Reizdissonanzen), Nebennoteneinstellungen
- Ersetzung einzelner Töne in Klängen durch Nebennoten
- tonzentrale Modulation
- Doppelklänge und verschiedene Mischklänge (Parallelmischung, Variantenmischung, Klangwurzelmischung, Mischung benachbarter Klänge, ...)
- alterierte oder ajoutierte Akkorde als funktionsfreie Klangwerte (als Klangfeld oder transponiert und ohne konventionelle Auflösung)
- Bitonalität

 
Merkmale der Harmonik des Impressionismus
- ausgeprägte Mediantenharmonik
- Klänge mit Nebennoteneinstellungen (Ganzton- oder Halbtoneinstellungen; Sekundzusatztönen), Reizdissonanzen, Reizharmonik, Mischklänge
- Doppelklänge, Bitonalität
- Gleichstellung von Konsonanz und Dissonanz
- Quartenharmonik
- Quart-, Quint- und Oktavkopplung
- Mixturklänge (strenge, reale (strukturgleich) tonale (im Tonvorrat), freie)
- Polytonalität

 
Merkmale der Harmonik des Expressionismus
- schwebende Tonalität, vagierende Akkorde
- Negierung des Dreiklangs
- Ganzton-, Quarten-, Doppelklangsharmonik
- Nebennoteneinstellungen
- Leittoneinstellungen
- Klangfelder
- Distanzharmonik
- Bitonalität und Polytonalität
- Reihentechnik, Dodekaphonie
- freie Atonalität
- polyphone Gestaltungskräfte sind grundlegend
- Zentralton-„Harmonik“, Zentralklangtechnik
- Vertikalität aus Horizontalität
- Erneuerung klassischer Tendenzen (unverändertes oder abgewandeltes Zitieren; alte Stilmittel oder Idiome; tonale Harmonik; Gattungen und Formmodelle)


Die Musik des Barock (z. B. von  J. S. Bach, G. F. Händel, G. Ph. Telemann, A. Vivaldi) zeichnet sich durch einige Merkmale aus, die sich schon beim Hören deutlich erkennen lassen:
Monoaffekt - die Stücke haben lediglich eine Stimmung, keine Stimmungswechsel
Monorhythmik - im Grunde ein Rhythmus, oft als Komplementärrhythmus, indem die Rhythmen der einzelnen Stimmen sich zu einem durchgehenden Rhythmus ergänzen (hat eine Stimme eine längere Note, hat eine andere Stimme gleichzeitig mehrere kürzere Noten)
Monothematik - das Stück wird von einem musikalischen Thema bestimmt, das mit Prinzipien wie Imitation, Sequenzierung, Umkehrung, Krebs, Augmentation, Diminution verändert wird.
Terrassendynamik - die Lautstärke ist abschnittweise gleich, es finden keine Übergänge wie crescendo und decrescendo statt, sondern abrupte Wechsel zwischen beispielsweise forte und piano.
Polyphoner Satz - die Stimmen eines Stückes sind (rhythmisch) selbstständig (Ggs.: homophoner Satz)
Generalbass (Basso continuo) - durchlaufende  Bass-Stimme



Die Stilperiode des Barock wird auch Generalbasszeitalter genannt.

Musik, die als impressionistisch bezeichnete wird, hat stimmungshaften Charakter, indem sie bestimmte Eindrücke, Zustände, Gefühle, Regungen, Eigenschaften und Stimmungen wiedergibt oder entsprechende Vorstellungen bewirkt und aneinanderreiht. Für die Stücke ergeben sich dadurch individuelle, variable und offene Formen. Träger der Stimmung in der Musik ist der Klang, beispielsweise der Klang bestimmter Harmonien, Tonfolgen, Instrumente und Instrumentenkombinationen (Klangfarbe).


Lyrische Klavierstücke der Romantik, wie beispielsweise bei Chopin, Schumann und Liszt, haben einige impressionistische Stilmerkmale bereits vorweggenommen durch das atmosphärische Element, die Vorliebe für ostinate, gleichbleibende rhythmische Bassbewegungen, auf chromatischem Wege, durch Alteration gewonnene Akkorde, die Schaffung neuer, kleiner Formen, die Verwendung von lediglich einer Melodielinie, die verziert oder variiert wird, und Melodiebruchstücken sowie Motivwiederholungen, aus denen Melodien entstehen. Die vergrößerten Orchester der Romantik mit mehr und neuen Instrumenten wurden mit dem Begriff der Klangpalette beschrieben, durch Klangmischungen entstanden ein neuer Klangfarbenreichtum und mehr dynamische Möglichkeiten. In der Romantik wurde die Harmonik bzw. Tonalität erweitert durch zunehmende Chromatisierung, Häufung von Septakkordvarianten, Septakkordketten, funktionsfreie Septakkorde und Nebenfunktionen - oft durch Unterterzung erweiterte Akkorde.

 

Als Begründer und Vollender des musikalischen Impressionismus gilt der französische, geheimnisvolle Komponist Claude Debussy. Seine Musik zeigt weitere neuartige Muster: chromatische Tonleitern, Ganztonleitern (bitonal, polytonal), Pentatonik, das Wiederaufgreifen modaler Skalen (Modi/Kirchentonarten), fehlenden eindeutigen Grundtonbezug, Akkordbildungen mit hinzugefügten Dissonanzen, die nicht mehr funktionsharmonisch eingebunden oder weitergeführt werden, sondern als Klang für sich stehen oder parallel in der Art von Mixturklängen verrückt, verschoben oder versetzt werden. Oft werden Akkorde enharmonisch >falsch< notiert. Debussy verwendet Mischklänge, Leerklänge, unvollständige Harmonien, mehrtonale Akkorde, Orgelpunkte oder Klangbordune und eigentlich Klangflächen. Rhythmisch wirkt Debussys Musik oft fließend oder schwebend, geht über Taktgrenzen und Taktschwerpunkte hinweg (Überbindungen), weist Synkopen, Takt- und Tempowechsel auf, wodurch sie frei - oder geradezu natürlich - wirkt, und oft zeigen sich rhythmische Gruppen, die wiederholt werden oder gegeneinanderstehen und so polyrhythmisch aufgefasst werden können.

 

Debussy hat die Bezeichnung Impressionismus für seine Musik abgelehnt und sie dem Symbolismus zugeordnet, einer für Debussy zeitgenössischen Kunstrichtung (oder Geisteshaltung) in der Literatur (Baudelaire, Mallarmé, George) und Malerei (Moreau, Ensor), der ein mystischer Einschlag eigen war. Debussy hat sich zudem von exotischer, außereuropäischer Musik, beispielsweise von Gamelanmusik, inspirieren lassen.

 

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