Blue Notes sind charakteristische Töne der Bluesmelodik und Bluesharmonik. An dem Notenbeispiel des „Backwater Blues“ lassen sich die Blue Notes einfach erkennen und erklären:

Backwaterbluesmelodie Diese Melodie steht in der Tonart C-Dur, die bekanntlich alle Stammtöne, also keine Noten mit Alteration (erniedrigenden oder erhöhenden Vorzeichen) enthält. Dass die Melodie des Backwater Blues aber doch Vorzeichen aufweist, erklärt sich durch das Auftreten von Blue Notes, in diesem Fall die Töne es (erniedrigtes e) und b (erniedrigtes h). Die Blue Notes sind also die Töne der erniedrigten dritten (Bluesterz) und erniedrigten siebten Stufe der Dur-Tonleiter (c, d, e, f, g, a, h). Dadurch ergibt sich der typische Bluesklang. (Dies wird sofort deutlich, sobald die Melodie ohne die Blue Notes, sondern mit e und h gespielt wird, denn das klingt ganz und gar nicht nach Blues.) Eine weitere Blue Note ist die erniedrigte fünfte Stufe, in diesem Falle ges, das beim Singen des Backwaterblues gern in den zweiten Takten der Zeilen, statt g, benutzt wird. Bluesmelodien benutzen sehr häufig Töne einer pentatonischen Skala (Fünftonskala), meist eine Mollpentatonik. Diese Töne sind die Grundtöne der Stufen I, IV und V (in unserem Beispiel C, F und G) sowie die Blue Notes auf den Stufen bIII und bVII (in unserem Beispiel es und b). Oft wird auch die dritte Blue Note hinzugezogen, die bV (in unserem Beispiel ges). Diese sechs Töne werden dann als Bluestonleiter bezeichnet.

Die ersten vier Takte werden mit einem C-Dursptakkord begleitet, obwohl in der Melodie nicht die Durterz (e), sondern die Mollterz (es) erklingt. In Takt neun bildet der G-Durseptakkord den Begleitakkord, obwohl auch hier in der Melodie nicht die Durterz (h), sondern die Mollterz (b) erklingt. Aus dem gleichzeitigen Erklingen von Dur- und Mollterz ergibt sich ein Reibungsklang (Dissonanz), der auch ganz typisch für den Blues ist und auf ein weiteres Phänomen hinweist, das sich dirty intonation (dirty tones) nennt. Dabei handelt es sich um eine Spiel- und Singweise, die zum Beispiel den Blue Notes Zweideutigkeit verleiht, indem unklar bleibt, ob es sich um Dur oder Moll handelt, um e oder es, der Ton wird dirty, unsauber intoniert. Dies ist eine große Kunst im Blues- und Jazz-Gesang (und Instrumentalspiel), durch die sich, neben den vielen schwarzen Musiklegenden wie Ray Charles, Marvin Gaye, Aretha Franklin oder Ella Fitzgerald, auch begnadete Rocksänger auszeichnen wie beispielsweise Elvis Presley, John Lennon, Paul McCartney oder Steve Winwood, um nur einige ältere zu nennen.

Dirty intonation beinhaltet einen weiteren Aspekt. In ausdrucksstarkem Blues- und Rockgesang ist wesentlich mehr wiedergegeben als lediglich klangvolle Töne; es liegt etwas Geräusch in der Stimme, etwas persönliche, aus dem eigenen Leben stammende Färbung, eine besondere Form der Direktheit und Authentizität des Ausdrucks. Hier verschmelzen Leben und Musik auf die dieser Musikstilrichtung typische und eindringliche Weise.

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