Mein Vater stammte aus Arkansas. Er wurde auf einer Farm groß, die seinem Vater gehörte, Miles Dewey Davis dem Ersten. Mein Großvater war Buchhalter und er mach­te seine Sache so gut, dass er sogar für Weiße arbeitete und damit einen Haufen Geld verdiente. Um die Jahrhundertwende kaufte er fünfhundert Morgen Land in Arkansas. Wenig später waren genau die weißen Leute gegen ihn, denen er vorher die Bücher führen durfte. Sie jagten ihn davon. Ihrer Meinung nach gehörte es sich nicht für einen Schwarzen, so viel Land und so viel Geld zu besitzen. Ein Schwarzer durfte nicht erfolgreich sein, wenigstens nicht erfolgreicher als sie. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Solange ich denken kann, litt mein Großvater unter den Schikanen der Weißen. Mein Onkel Frank, sein Sohn, musste sogar als Leibwächter herhalten, um ihn zu beschützen. Mein Vater und mein Großvater behaupteten, dass die Davis' den anderen immer ein Stück voraus waren. Und das glaubte ich ihnen. Die Leute aus unserer Familie waren immer etwas Besonderes, erzählten sie: Künstler, Geschäftsleute, Selbstständige oder Musiker, die in den alten Zeiten, vor dem Ende der Sklaverei, für die Plantagenbesitzer spielten. Diese Davis' spielten sogar klas­sische Musik. Deshalb war's nach der Sklavenbefreiung für meinen Vater mit der Musik vorbei, denn mein Großvater sagte: »Sie lassen die Schwarzen nur noch in Kneipen und Spelunken spielen.« Sie, damit meinte er die Weißen, wollten keinem Schwarzen mehr zuhören, der klassische Musik spielte. Sie sollten nur noch Spirituals singen oder den Blues. Ob das wahr ist, weiß ich nicht, aber so hat's mein Vater erzählt. [...] Der Unterricht an der Juilliard School ging mir inzwischen richtig auf die Nerven. Ich war im Symphonieorchester der Schule, aber da spielten wir Trompeter alle 90 Takte mal zwei Noten. Ich wollte und brauchte mehr. Außerdem wusste ich, dass kein weißes Symphonieorchester jemals einen kleinen schwarzen Kerl wie mich enga­gieren würde, egal wie gut ich war oder wie viel Ahnung ich von Musik hatte. Außerdem waren sie an der Schule so verdammt rassistisch und nur auf weißen Mist fixiert. Ihre Vorurteile ärgerten mich und machten mich rasend. Ich erinnere mich noch an einen Kurs in Musikgeschichte. Die Lehrerin war eine Weiße. Sie stand vor der Klasse und erklärte, dass die Schwarzen den Blues spielen, weil sie arm sind und Baumwolle pflücken müssen. Deshalb seien sie traurig und daher käme der Blues, von ihrer Traurigkeit. Meine Hand schoss hoch wie der Blitz, ich stand auf und sagte: »Ich komme aus East St. Louis und habe einen reichen Vater, er ist Zahnarzt. Ich spiel aber auch den Blues. Mein Vater hat in seinem ganzen Leben keine Baumwolle gepflückt und ich bin heute früh kein bisschen traurig aufgewacht und hab dann einen Blues gespielt. Da steckt schon ein bisschen mehr dahinter.« Die Tante wurde richtig grün im Gesicht und sagte kein Wort mehr. Mann, was die uns da erzählt hat, kam aus einem Buch, das jemand geschrieben haben muss, der keine Ahnung von dem hatte, worüber er sich ausließ. (Miles Davis. Die Autobiographie. Hamburg, 2000)

 

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