Maurice Halbwachs (1877-1945), Soziologe, Philosoph und international arbeitender Professor, wurde im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Der hier gezeigte Textauszug aus Studien der Gedächtnisforschung datiert aus dem Jahre 1925.

[...] Nehmen wir an, die Vergangenheit erhielte sich ohne Veränderung und lückenlos in unserem Gedächtnis, d. h. es sei uns jederzeit möglich, jedes beliebige Ereignis unseres Lebens neu zu beleben. Nur bestimmte dieser Gedächtnisinhalte würden während des Wachseins erscheinen; da wir uns in dem Augenblick, wo wir sie uns in die Erinnerung zurückrufen, in Berührung mit den Realitäten der Gegenwart befinden, könnten wir gar nicht anders als in ihnen Elemente unserer Vergangenheit zu erkennen. Nehmen wir nun aber an, dass die Erinnerungen während des Traumes, wenn dieser Kontakt unterbrochen ist, in unser Bewusstsein treten: wie sollten wir sie dann als Erinnerung wiedererkennen? Es gibt keine Gegenwart mehr, der wir sie gegenüberstellen könnten; da sie ja die Vergangenheit nicht in der Weise vorstellen, wie man sie aus der Entfernung sieht, sondern so, wie sie ablief, als sie Gegenwart war, so haben sie nichts an sich, was offenbart, dass sie sich uns nicht zum erstenmal zeigen. - So steht theoretisch dem nichts entgegen, dass die Erinnerungen im Schlaf auf uns eine Art halluzinatorische Wirkung ausüben, ohne dass sie sich maskieren müssten, um nicht erkannt zu werden. [...]

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