Folgende Aussagen fassen einen Teil dessen, wodurch sich Gnosis bestimmen lässt, zusammen:

Einen einheitlichen, die Erlösungshoffnung begründenden gnostischen My­thos gibt es nicht, und die ihr von ihren Gegnern vorgeworfene Mannigfaltig­keit der Gnosis ist in ihrem Wesen angelegt. Auch untereinander vertraten die gnostischen Gruppen keinen Ausschließlichkeitsanspruch. Sie legten auf Viel­fältigkeit der Darstellung ihrer Lehre(n) und Erkenntnisse wert, was sich auch darin ausdrückt, dass es keinen normativen Kanon (Richtschnur) gibt. Gnosis ist ein Phänomen spontaner Spiritualität und entsteht im Spannungsfeld von Imagination und Intellekt.

In ihren mehr oder weniger poetischen, umschreibenden Texterzeugnissen und in ihrer spekulativen Philosophie und Symbolik kommt zum Ausdruck, dass das, was gemeint ist, erahnt und erfühlt werden muss, so dass das Wesentliche am Menschen nicht sein rationales (und auf äußeren Informationen beruhendes) Denkvermögen ist, sondern ein denkzwangloseres, für intuitive Prozesse und religiöse Erkenntnis, welche offenbar mit einer (intuitions–) ästheti­schen Anschauungsweise eng verknüpft ist, für das Neue und dessen Mög­lichkeit bereites Bewusstsein. Beide dieser intellektuellen Fähigkeiten gehören jedoch zusammen.

Die Vorstellung vom „göttlichen” Menschen, der in und über der Welt weilt, beinhaltet eine neue Konzeption der Anthropologie, hinter der sich der revolu­tionäre Geist der Gnosis in seiner Absage an die herkömmlichen Glaubens- und Wertvorstellungen ausdrückt. Eine Widerspiegelung dieser Anthropologie ist die Einteilung der Menschen in geistige (Pneumatiker) und (noch) nicht geistige. Das Wissen um die göttliche Herkunft führt gleichzeitig zur Erkennt­nis der eigenen Fremdheit, zum Bewusstsein einer schmerzlichen Distanz ge­genüber der Welt, - der Einsamkeit.

Die Gottesidee stellt sich allen bekannten Göttern entgegen und ist damit sowohl ein Produkt der großen Unduldsamkeit gegenüber dieser Welt und trü­gerischen Erscheinungswirklichkeit als auch eine Konsequenz des esoteri­schen Erkenntnisbegriffs.

Diese Welt wird von den Gnostikern diskreditiert als eine ignorante, demiur­gische, widergöttliche Welt, umgeben von den Planetensphären der unfreimachenden Schicksalsnotwendigkeit (heimarmene). Dieses stellare Zwischenreich beherbergt Dämonen, Götter und Geister, die oft Archonten genannt werden. Jenseits dieser weltlichen Sphären ist der eigentliche Gott, liegt die wahre Wirklichkeit (Akosmismus). Mit der „verfehlten Schöpfung” (Cioran) ist die Herkunft des Bösen metaphysisch erklärt - nicht historisch - und beinhaltet einen Pessimismus bezüglich der Möglichkeit, durch menschliche Eingriffe die Welt zu verbessern. Gleichwohl impliziert die gnostische Sicht Kritik am Bestehenden oder Gegebenen. Diesseitigen Herrschaftsverhältnissen und den der „göttlichen” oder kosmischen Hierarchie und „Harmonie” angepassten kirch­lichen und staatlichen Organisationen wird mit der Aberkennung kosmischer Dignität ihre Rechtfertigungsgrundlage genommen.

Das Zustandekommen der Welt wird meist als eine Abwärtsentwicklung (Devolution) aus dem höchsten Sein beschrieben. Der im Menschen eingekör­perte göttlich-geistige Partikel macht dabei eigentlich die Schöpfung überhaupt erst möglich, ist aber auch sozusagen ein Unterpfand für die Erlösung, die auch durch einen Ruf oder Befreier (z.B. Christus) hinauf zum Licht führt, was mythologisch als Seelenaufstieg dargestellt wird. Diese Welt wird also nicht als geplanter Akt vorgestellt, sondern als ein zufälliges (und psycholo­gisches) Ereignis.

Zu den (bisweilen personifizierten) Abstrakta, die in der Gnosis eine soterio­logische, erlösungswirksame, Funktion haben, gehören vor allem Weisheit, Geist (der Wahrheit, des Lebens oder der Heiligkeit), Wort, Einsicht und Denkkraft (beides als Ausdruck der erleuchtenden Erkenntnis). Zur Selbst­bezeichnung der Gnostiker dienten u.a. die Ausdrücke Auserwählte, Geistige, Heilige, Kinder des Lichts, Fremde und Freie.

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