Aus: Kurt Hübner. Die zweite Schöpfung. Das Wirkliche in Kunst und Musik.

[...] dass die gesamte Sphäre der Rationalität auf einer anthropologisch tieferen Schicht teils aufruht, teils von ihr umhüllt wird, die selbst nicht mehr rationalisierbar ist. Das in diesem Sinne Nicht-Rationalisierbare ist nicht zu verwechseln mit dem Irrationalen. Irrationalität liegt nur dort vor, wo z. B. in Leidenschaft oder in einem pathologischen Zustand gegen die kognitive Erkenntnis oder unter ihrer Missachtung gehandelt wird. Zum Nicht-Rationalisierbaren degegen gehören nicht nur alle jene Bereiche der Wirklichkeit, die rationalisierbarer Durchdringung widerstehen (das Zufällige, Kontingente, Numinose usw.), sondern dazu gehört eben auch alles das Rationale letztlich Bedingende oder es Begleitende.


Aus dem ersten Kapitel von "Abstraktion und Einfühlung" (1908) von Wilhelm Worringer (1881-1965)

[...] Welches sind nun die psychischen Voraussetzungen des Abstraktionsdranges? Wir haben sie im Weltgefühl jener Völker, in ihrem psychischen Verhalten dem Kosmos gegenüber zu suchen. Während der Einfühlungsdrang ein glückliches pantheistisches Vertraulichkeitsverhältnis zwischen dem Menschen und den Außenwelterscheinungen zur Bedingung hat, ist der Abstraktionsdrang die Folge einer großen inneren Beunruhigung des Menschen durch die Erscheinungen der Außenwelt und korrespondiert in religiöser Beziehung mit einer stark transzendentalen Färbung aller Vostellungen. Diesen Zustand möchten wir eine ungeheure geistige Raumscheu nennen. Wenn Tibull sagt: primum in mundo fecit deus timor, so lässt sich dieses selbe Angstgefühl auch als Wurzel des künstlerischen Schaffens annehmen.

Lose aneinandergefügte Aussagen aus dem vergriffenen Buch "Die Tiefe im Antlitz der Welt" (1952) von Wilhelm Weischedel

[...] Nun ist das Fragloseste und daher meist Übersehene am Kunstwerk dies, dass es den Menschen dazu bringt, vor ihm innezuhalten. [...] Die besondere Weise der Erfahrung des Kunstwerks zeigt sich einem ersten Hinblick als Befremdung. [...] Das Kunstwerk entrückt zu sich hin. Es hat die Macht der Entrückung. [...] Die Kraft der Entrückung, die vom Kunstwerk ausgeht, wird dem Betrachter als Zug zur Sammlung spürbar. [...] Von Gnaden seiner Tiefe auch hat das Kunstwerk die Macht, den Betrachter zu verwandeln. [...] Diese Verwandlung erfährt er als ein Hinabtauchen in die eigene Tiefe. [...] Tiefe rührt an Tiefe. Die wesenhafte Erfahrung des Werkes ist aufs innigste mit der Erfahrung des eigenen Selbst verbunden. [...] Die Tiefe ist kein Ding, sondern die ins Unabsehbare deutende Verweisung der Kunstwerke. [...] So mag denn die Kunst in ihrem ganzen Umfange als der Ort verstanden werden, an dem in einer vorzüglichen Weise innerhalb der vertrauten Wirklichkeit die Tiefe als Ursprung aufbricht. [...] Darum auch erfährt der Mensch vor dem Kunstwerk so dringlich den Aufruf, wesentlich zu werden. Wenn er sich ihm nicht verschließt, weiß er: es kommt alles darauf an, aus der eigensten Tiefe zu leben, selber ursprünglich zu werden. Sein Ursprung begegnet ihm als mächtiger Anspruch.

Feststellung von Sarah Kofman (1934-1994)

Zwischen der figurativen Ordnung des Bildes und der diskursiven Ordnung der Sprache gibt es einen Spielraum, der durch nichts aufzufüllen ist.

Anmerkung: Phylakterien nennt man Bänder mit aufgerollten Enden oder Zettelchen, welche Legenden trugen, die die alten Maler ihren Figuren beigaben, um eine Bedeutung auszudrücken, die sie im Bild nicht darstellen konnten.

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