Lose aneinandergefügte Aussagen aus dem vergriffenen Buch "Die Tiefe im Antlitz der Welt" (1952) von Wilhelm Weischedel
[...] Nun ist das Fragloseste und daher meist Übersehene am Kunstwerk dies, dass es den Menschen dazu bringt, vor ihm innezuhalten. [...] Die besondere Weise der Erfahrung des Kunstwerks zeigt sich einem ersten Hinblick als Befremdung. [...] Das Kunstwerk entrückt zu sich hin. Es hat die Macht der Entrückung. [...] Die Kraft der Entrückung, die vom Kunstwerk ausgeht, wird dem Betrachter als Zug zur Sammlung spürbar. [...] Von Gnaden seiner Tiefe auch hat das Kunstwerk die Macht, den Betrachter zu verwandeln. [...] Diese Verwandlung erfährt er als ein Hinabtauchen in die eigene Tiefe. [...] Tiefe rührt an Tiefe. Die wesenhafte Erfahrung des Werkes ist aufs innigste mit der Erfahrung des eigenen Selbst verbunden. [...] Die Tiefe ist kein Ding, sondern die ins Unabsehbare deutende Verweisung der Kunstwerke. [...] So mag denn die Kunst in ihrem ganzen Umfange als der Ort verstanden werden, an dem in einer vorzüglichen Weise innerhalb der vertrauten Wirklichkeit die Tiefe als Ursprung aufbricht. [...] Darum auch erfährt der Mensch vor dem Kunstwerk so dringlich den Aufruf, wesentlich zu werden. Wenn er sich ihm nicht verschließt, weiß er: es kommt alles darauf an, aus der eigensten Tiefe zu leben, selber ursprünglich zu werden. Sein Ursprung begegnet ihm als mächtiger Anspruch.