Robert Schumanns musikalische Haus- und Lebensregeln

Die Bildung des Gehörs ist das wichtigste.
Spiele im Takte. Das Spiel mancher Virtuosen ist wie der Gang eines Betrunkenen. Solche nimm dir nicht zum Muster.
Lerne frühzeitig die Grundgesetze der Harmonie.
Klimpere nie. Spiele immer frisch zu und nie ein Stück halb. Bemühe dich, leichte Stücke gut und schön zu spielen. Es ist besser, als schwere mittelmäßig vorzutragen.
Du musst es so weit bringen, dass du eine Musik auf dem Papier verstehst.
Wenn du spielst, kümmere dich nicht darum, wer dir zuhört. Spiele aber immer, als hörte dir ein Meister zu.
Aller Passagenkram ändert sich mit der Zeit. Nur, wo die Fertigkeit höheren Zwecken dient, hat sie Wert.
Du sollst schlechte Kompositionen weder spielen noch, wenn du nicht dazu gezwungen bist, sie anhören.
Lass dich durch den Beifall, den sogenannte große Virtuosen oft erringen, nicht irre machen. Der Beifall der Künstler sei dir mehr wert als der des großen Haufens.
Alles Modische wird wieder unmodisch. Und treibst du’s bis in das Alter, so wirst du ein Geck, den niemand achtet.
Viel Spielen in Gesellschaften bringt mehr Schaden als Nutzen.
Spiele fleißig Fugen guter Meister. Bachs »Wohltemperiertes Klavier« sei dein täglich Brot.
Von deinen musikalischen Studien erhole dich fleißig durch Dichterlektüre.
Von Sängern und Sängerinnen lässt sich manches lernen, doch glaube ihnen auch nicht alles.
Versäume keine Gelegenheit, dich auf der Orgel zu üben. Es gibt kein Instrument, das am Unreinen im Tonsatz wie im Spiel allsogleich Rache nehme als die Orgel.
Singe fleißig im Chor mit, namentlich Mittelstimmen. Dies macht dich musikalisch.
Höre fleißig auf Volkslieder. Sie sind eine Fundgrube der schönsten Melodien und öffnen dir den Blick in den Charakter der verschiedenen Nationen.
Urteile nicht nach dem Erstenmalhören über eine Komposition. Was dir im ersten Augenblick gefällt, ist nicht immer das Beste. Meister wollen studiert sein. Vieles wird dir erst im höchsten Alter klar werden.
»Melodie« ist das Feldgeschrei der Dilettanten. Und gewiss: eine Musik ohne Melodie ist gar keine. Verstehe aber wohl, was jene darunter meinen: eine leichtfassliche, rhythmisch gefällige gilt ihnen allein dafür. Es gibt aber auch andere anderen Schlages, und wo du Bach, Mozart, Beethoven aufschlägst, blicken sie dich in tausend verschiedenen Weisen an. Des dürftigen Einerleis [...] wirst du hoffentlich bald überdrüssig.
Fängst du an zu komponieren, so mache alles im Kopf. Die Finger müssen machen, was der Kopf will, nicht umgekehrt. Verlieh dir der Himmel eine rege Phantasie, so wirst du in einsamen Stunden wohl oft wie festgebannt am Flügel sitzen, in Harmonien dein Inneres aussprechen wollen. Der Jugend glücklichste Stunden sind diese. Hüte dich indessen, dich zu oft einem Talent hinzugeben, das Kraft und Zeit gleichsam an Schattenbilder zu verschwenden dich verleitet. Die Beherrschung der Form, die Kraft klarer Gestaltung gewinnst du nur durch das feste Zeichen der Schrift. Schreibe also mehr als du phantasierst.
Sieh dich tüchtig im Leben um, wie auch in andern Künsten und Wissenschaften.
Die Gesetze der Moral sind auch die der Kunst. Es ist des Lernens kein Ende.

 

Wir tragen in uns die gesamte Musik: sie ruht in den Tiefenschichten der Erinnerung. All das, was musikalisch ist, gehört zur Reminiszenz. In der Zeit, da wir noch keinen Namen besaßen, müssen wir wohl alles vorausgehört haben.

(Aus: Emil Mihai Cioran. Lacrimi si Sfinti. Deutscher Titel: Von Tränen und von Heiligen)

Der feingekleidete Musikliebhaber zu seiner Nachbarin beim Kammermusikkonzert: „Die Akustik hier im Raum ist wirklich schlecht“. Darauf sie: „Oh, ja! Jetzt wo sie es sagen, rieche ich es auch!“

Vom Wert der Musik

Ein Märchen

In einem fernen Land, am Ufer eines klaren Sees, lag die Stadt Nekned. In einer Herberge hatte der Zufall ein paar Menschen zusammengeführt. Vom See her tänzelte eine abendfeuchte Brise. Während der Wirt die Fenster schloss und Brot und Wein brachte, war ein Disput darüber in Gang gekommen, was den Wert von Musik bestimme.

Ein Geldverleiher sagte, Musik sei nur gut, wenn sie Dukaten zum Klingen brächte. Ein Bettler forderte, dass Musik die Herzen der Menschen erweiche, ein Ordensmann in haariger Kutte fand erweichte Herzen wohl gottgefällig, meinte aber, dass Musik überdies das Böse in der Seele ausmerzen müsse und gegen die Anfechtungen des Teufels gefeit machen. Ein Liebespaar dagegen wollte gar die Sinne beflügelt wissen zu mehr Genussfähigkeit und Leidenschaft. Ein grauer Experte bestand auf Traditionstreue und bedingungslose Bewahrung der erhabenen Tongesetze der Altvorderen. Ein Freischärler ließ wiederum nur das Revolutionäre, die alten Gesetze Überwindende in der Musik als Maß für deren Wert gelten. Endlich meldeten sich noch der Wirt und ein Ordnungshüter mit denkwürdigen Erkenntnissen zu Wort. Nach und nach erhitzte man sich derart, dass sich ein erbitterter Streit entspann, welcher schließlich den Feierabend und aller Wohlwollen verzehrte.

Draußen aber, im Wipfel eines Avocadobaumes, sang eine Nachtigall. Im schlichten Glanz ihrer Eigenart wob sie ein silbriges Netz in die staunenden Hände der Nacht; ein Netz aus Stille, Verlockung und Kraft, Raumgefühl, Vergebung und Glück. Die Dunkelheit lauschte mit tausend Ohren. Und als der letzte Ton hinabgetaucht war in die Lautlosigkeit, flüsterte das Ufer zu seinem See: „Wie schön..."

Von Peter Horton

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